BISS-Ausgabe Februar 2025 | Besser gesund bleiben

Cover des BISS-Magazins Februar 2025

Inhalt | Besser gesund bleiben | Krank sein ist nicht schön, ohne Krankenversicherung kann es lebensbedrohlich werden. | 6 Weisungsbetreuung: Wie bringt man Jugendliche auf den rechten Weg zurück? | 10 Julia von Heinz: Interview | 12 open.med: Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherung | 18 Funktionelle Störungen: Krank ohne erklärbare Ursache | 25 Stiftung BISS: Verabschiedung von Bert Kühnöhl | 5 Wie ich wohne | 22 BISS-Verkäufer*innen erzählen, was sie bewegt | Rubriken | 3 Editorial | 24 Patenuhren | 26 Freunde und Gönner | 30 Mein Projekt, Impressum | 31 Adressen

Wie ich wohne

Wer wohnt wie? In der Kolumne geben Menschen aus dem BISS-Netzwerk Einblicke in ihren Wohnalltag. Sie erzählen, wie sie früher gelebt haben, wie sie momentan wohnen und was sie sich für die Zukunft erhoffen.

Protokoll ANNELIESE WELTHER

Foto MARTIN FENGEL

Der Schicksalserprobte

Man sollte die Nummer meines Appartements wissen, wenn man bei mir vorbeischaut, sonst sucht man sich unter den Hunderten von Klingelknöpfen einen Wolf. Die Haustür ist aus massivem Stahl mit länglichen Öffnungen, die wie ein Gitter ausschauen. Betritt man das sechsstöckige Haus, reihen sich drinnen, an den knallbunt bemalten Wänden der breiten, langen Gänge, in regelmäßigen Abständen unzählige Türen aneinander. Meine Nachbarn machen oft Lärm und nicht selten schaut die Polizei vorbei. Aber ich mische mich nicht ein und habe somit auch keinen Ärger mit den anderen, von denen ich kaum einen kenne. Allerdings bin ich vor einem Monat erst eingezogen. Seitdem sind mein Waschbecken und die Dusche verstopft. Wenn ich mich wasche, fülle ich Wasser in ein Gefäß, benutze es und schütte es dann in die Toilette. Der Einbau von Ersatzteilen schafft hoffentlich bald Abhilfe. Als ich in das Appartement einziehen durfte, habe ich mich gefreut. Jahrelang lebte ich auf der Straße. Von anderen Plätzen durch die Polizei vertrieben, campierte ich oft am Waldrand. Auch im Auto meines Sohnes habe ich mal übernachtet und etliche Male in Obdachlosenunterkünften. Den Schlafsaal muss man sich dort mit vielen anderen teilen und aufpassen, dass einem nichts abhandenkommt. Selbst mein Diabetes-Medikament wurde mir mal geklaut. Jetzt aber bin ich zufrieden. Insgesamt zahle ich 590 Euro warm für mein Zimmer, ein winziges Bad und eine kleine Küchenzeile im Eingangsbereich. Der Rest ist etwas abgewohnt, aber das Zimmer selbst ist sauber gestrichen und der Boden besteht aus Laminat in ansprechendem Holzdesign. Bei IKEA habe ich mir passend dazu ein paar Möbel besorgt. Nun kann mich auch endlich meine Familie besuchen. Bereits jetzt schaut mein Bruder mit seiner Frau und meinem Neffen des Öfteren vorbei. Ich habe sechs Geschwister, eigentlich sieben, doch eine Schwester starb mit acht Jahren an einer durch einen Pferdetritt verursachten Kopfverletzung. Wir alle lebten mit meinen Eltern in einem Haus mit zwei Zimmern in einem kleinen Ort nahe der Stadt Pitesti, nicht weit von Bukarest. Verhungert sind wir nicht, aber wir waren schon sehr arm. Weil wir so wenig Geld hatten, musste ich nach der achten Klasse von der Schule abgehen. Dabei ging ich ganz gerne hin. Fortan zog ich mit dem Pferdewagen umher und erledigte Transporte für die Nachbarn. Viel kam dabei nicht rum. Erst als ich im Ausland Arbeit fand, verdiente ich mehr und konnte mit meiner Frau und den Kindern in ein eigenes Haus mit ebenfalls zwei Zimmern ziehen. Ich habe vier Kinder, mein jüngster Sohn ist zwölf, mein ältester ist bereits erwachsen und hat selbst eine Familie. Meine Tochter kann von Geburt an nicht richtig laufen. Acht Mal ist sie operiert worden und sie geht mithilfe eines Rollators. Mit meiner Familie habe ich schon immer viel Kummer durchlitten. Erst vor Kurzem ist meine Enkelin an plötzlichem Kindstod gestorben. Für den nächsten Sommer erhoffe ich mir nun, dass meine Frau aus Rumänien zu Besuch kommt und einen ganzen Monat lang bleibt.

Krank und ohne Versicherung

Gesundheit ist ein Menschenrecht!

Ärztin Kristina Huber und Projektreferentin Monica Ilea.

In Deutschland muss jeder Mensch eine Krankenversicherung haben. Das ist seit dem Jahr 2009 eine gesetzliche Pflicht. Aber mehr als eine halbe Million Menschen haben keine vollständige Krankenversicherung. Diese Menschen können nur hoffen, dass sie nicht schwer krank werden. Denn sie werden ohne Krankenversicherung beim Arzt oder im Krankenhaus meist nicht behandelt.

open.med ist eine medizinische Beratungs- und Behandlungsstelle. Sie hilft Menschen ohne Krankenversicherung. Die Hilfsorganisation „Ärzte der Welt hat sie im Jahr 2006 gegründet. open.med bedeutet so viel wie “offene Medizin“. open.med gibt es bisher in München, Stuttgart, Magdeburg, Hamburg und Berlin. In München bekommt open.med Geld von der Stadt, von Stiftungen und von privaten Spendern.

In München ist die Behandlungspraxis von open.med in der Dachauer Straße 161. Es gibt feste Sprechstunden. Und es gibt zwei Behandlungsbusse an verschiedenen Standorten. ( Alle Infos ganz unten).

open.med behandelt alle Menschen ohne Krankenversicherung,

egal ob aus Deutschland oder aus einem anderen Land.

Weiterlesen „Krank und ohne Versicherung“

Meine erste Wahl

EIN TEXT AUS DER SCHREIBWERKSTATT

von Zuheir Takiyan

Ich habe noch gar nicht so lange einen deutschen Pass. Dieses Mal darf ich das erste Mal bei der Bundestagswahl wählen. Ich habe mich schon erkundigt, welche Parteien es gibt. Aber es ist nicht so einfach, weil ich mich von Grund auf neu informieren muss. Ich informiere mich über das Internet, hauptsächlich bei Youtube und Facebook. Für mich ist wichtig, was eine Partei für Ausländer macht. Ob sie für oder gegen Abschiebungen ist. Außerdem will ich wissen, wie die Partei zur Religion steht. Ich bin Christ. Und ich möchte, dass eine Partei dem christlichen Glauben gegenüber offen ist. Ich möchte, dass die Partei, die ich wähle, den Armen auf der Straße hilft. Ich möchte, dass niemand auf der Straße leben muss. Ich mag keine Politiker, die den Menschen Dinge versprechen, die sie dann nicht einhalten. Gute Politik muss ehrlich sein. Es braucht Politiker, die sich wirklich für ihr Land ins Zeug legen. Ich habe in meinem Leben bisher nur einmal gewählt. Das war noch im Irak. Deshalb ist es für mich jetzt wie ein Geschenk, dass ich wählen kann. Auch meine ganze Familie wird jetzt wählen. Es ist wirklich ein Privileg. Ich hoffe, dass es hier nicht so ist wie in dem Sprichwort, das ich aus dem Irak kenne. Dort heißt es: Die Parteien zerstören unsere Häuser und dann bauen wir neue für sie. So richtig vertraut man der Politik also nicht. In Deutschland findet die Wahl immer an einem Sonntag statt. Im Irak meist an einem Arbeitstag, an dem aber alle freibekommen, um zur Wahl gehen zu können. Oft sieht man dort auf Fotos nach der Wahl, dass die Menschen einen violetten oder schwarzen Finger haben. Das passiert in Ländern, in denen es nicht überall einheitliche Dokumente gibt oder nicht jeder Dokumente hat. Um zu verhindern, dass Leute doppelt wählen, wird ihr Finger mit spezieller Wahltinte markiert. Meist ist es der Zeigefinger. Auch mein Finger war damals schwarz. Man kann diese Wahltinte nicht sofort abwaschen. Das ist ja auch der Sinn der Sache. Aber mit Seife geht die Farbe nach ein paar Tagen weg. Es ist in Deutschland also einiges anders als bei meiner letzten Wahl im Irak. Eines aber ist gleich, egal ob in Deutschland oder dem Irak: Am Wahltag muss ich mich entscheiden, wem ich meine Stimme gebe.

Bundestagswahl 2025 – für ein gutes Zusammenleben

Karin Lohr, Geschäftsführerin (Foto: Volker Derlath)

Am 23. Februar wird der Deutsche Bundestag wieder neu gewählt. Wie vor jeder Wahl informieren wir in einer Verkäufersitzung alle BISSler über den Ablauf: Es werden Muster der Wahlunterlagen, wie Stimmzettel und dazugehörige Umschläge, ausgelegt und erläutert, wie das mit dem Wählerverzeichnis funktioniert. Wer keine Unterlagen erhalten hat, den unterstützt die Sozialarbeit bei der Anforderung, denn es sollen ja so viele Verkäuferinnen und Verkäufer wie möglich ihr Wahlrecht ausüben können. Es hat sich in den vergangenen Jahren bewährt, zu erklären, wie einfach man seine Stimme durch die Briefwahl abgeben kann. Wahlberechtigte Münchnerinnen und Münchner können ihre Briefwahlunterlagen persönlich im Kreisverwaltungsreferat und bei den Bezirksinspektionen in den Stadtvierteln abholen. Dort besteht auch die Möglichkeit, gleich beim Abholen zu wählen, also sofort den ausgefüllten Wahlschein in die Wahlurne einzuwerfen. Dann braucht man am Wahlsonntag nicht persönlich ins Wahllokal zu gehen, obwohl das in einer Demokratie ein besonderes Erlebnis ist. Für BISS-Verkäufer Zuheir Takiyan, der zum ersten Mal in Deutschland wählt, ist es sogar „wie ein Geschenk“ (siehe Schreibwerkstatt Seite 22). Für den Ausgang der Bundestagswahl 2025 hoffen wir, dass es nicht reichen wird für eine Mehrheit der breitbeinigen Narzissten (m/w/d) die alles schlechtreden und jeden runtermachen, der nicht so denkt wie sie. Sie veranstalten zwar ein lautes Spektakel, an einem guten Leben für möglichst viele Menschen jedoch sind sie nicht interessiert. Diejenigen, die wirklich einen Grund hätten, zu schreien, weil es für sie keinen bezahlbaren Wohnraum gibt und keine Arbeit, von der sie leben können, sind still. Dabei ist Deutschland seit fast 80 Jahren ein freies Land in Frieden und Wohlstand. Es gibt so viele Menschen in diesem Land, die sich für ein gutes Zusammenleben und einen freundlichen Umgang miteinander einsetzen, in den Schulen und Kindergärten, am Arbeitsplatz, in den Kirchen und Vereinen und als ehrenamtlich Engagierte. Wie sagt es Magdalena, die als Weisungsbetreuerin für straffällige Jugendliche arbeitet (siehe S. 6 bis 9), so treffend: „Ich glaube, dass man die Veränderung sein muss, die man haben möchte.“ Ja, unbedingt, denn so ist eine Veränderung zum Besseren möglich.


Herzlichst

Karin Lohr, Geschäftsführerin